Mitte September 2015 zeigte Angela Merkel noch ihr „freundliches Gesicht“ gegenüber einem unbegrenzten Flüchtlingszustrom mit der Anmerkung „Wir schaffen das.“

Die abbröckelnden Sympathiewerte in der skeptischer werdenden deutschen Bevölkerung und die eher noch zunehmenden Flüchtlingsströme haben sie mittlerweile zu einer völligen Kehrtwende bewegt. Selten sind in so kurzer Zeit in einem politisch sensiblen Thema wie der Ausländerpolitik so viele Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht werden.

Geschaffen worden ist bereits eine erhebliche Verschärfung der Abschiebehaft, die Ausweitung von sicheren Herkunftsländern auf praktisch alle Balkanländer (womit Asylanträge von diesen Staatsangehörigen praktisch nahezu aussichtlos werden), die Verhängung von Wiedereinreisesperren bei offensichtich unbegründen Asylanträgen (wovon das Bundesamt seit Anfang August gerade bei Balkanflüchtlingen mit einer Sperrzeit von in der Regel 3 Jahren praktischen Gebrauch macht) sowie die (rechtlich höchst fragwürdige) Einschränkung von Sozialleistungen auf Asylbewerber unter bestimmten Voraussetzungen. In Niedersachsen werden seit September keine Abschiebungen bei Ausländern, die weniger als 18 Monate sich in Deutschland aufgehalten haben, mehr vorab angekündigt. 

An der hohen Zahl der Einwanderung hat sich nichts seitdem geändert – und wird sich voraussichtlich auch nicht, ändert sich doch an der maßgeblichen Quelle, dem syrischen Bürgerkrieg nichts. Die massive finanzielle Unterstützung der Türkei als Transitland durch die EU bei den dortigen Flüchtlingslagern wird sich allenfalls mittelfristig und geringfügig auswirken.

Da Deutschland, anders als Ungarn, schlechte Erfahrungen mit dem Bau einer Mauer gemacht hat, wundert es nicht, dass manche Politiker bei ihrem Anstreben, Flüchtlinge schon an der deutschen Grenze abzufangen, also auf die Idee kommen, sie in Haft zu nehmen. Der Begriff „Transitzone“ klingt dabei viel besser als Haft, lehnt er sich doc h an ein gesetzlich bereits bestehendes Verfahren, das sog. Flughafenverfahren, an, das im  Tansitbereich eines Flughafens stattfindet. 1996 hatte zudem das Bundesverfassungsgericht dieses Flughafenverfahren, das allerdings nur für Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten beschränkt ist (und daher in der Praxis meistens jährlich nur weniger als 1000 Flüchtlinge betrifft), als verfassungskonform bezeichnet.

Wie steht es also mit Festnahme und Haft für unerlaubt einreisende Flüchtlinge?

Unterschieden werden muss dabei zwischen Festnahme und Haft aus strafrechtlichen Gründen einerseits und ausländerrechtlichen Gründen andererseits.

In strafrechtlicher Hinsicht ist eine unerlaubte Einreise strafbar. Wichtige Ausnahme aber nach der Genfer Flüchtlingskonvention: Der Ausländer stellt unverzüglich nach seiner Einreise einen Asylantrag. Als „unverzüglich“ wird dabei von der Rechtsprechung von Strafgerichten teils 3 Tage, teils bis zu 4 Wochen angesehen. Ende letzten Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht eher überraschend entschieden, dass ein Ausländer, der nach seiner Einreise unverzüglich einen Asylantrag stellt, dann doch dafür bestraft werden kann, wenn er aus einem sicheren Drittstaat (das sind die EU-Staaten, die Schweiz und Norwegen; sichere Herkunftsländer sind dagegen die sicheren Drittstaaten sowie u.a. sämtiche Balkanländer) einreist, wo er sich vorher längere Zeit aufgehalten hat. Bei den derzeitigen  Zuströmen über die „Balkanroute“ ist eine Durchreise durch Kroatien und Österreich aber nur gegeben, so dass dort kein längerer Aufenthalt war, erst recht nicht nachweisbar aus Sicht der Strafjustiz ist. Eine strafrechtliche Sanktionierung der Flüchtlinge ist demnach nicht möglich (nach Erfahrung des Autors, der schwerpunktmäßig im Straf- und Ausländerrecht tätig ist, greift hingegen die bayrische Strafjustiz gegen selbst einmalige Kleinst-Schleuser mit der regelmäßigen Verhängung von Untersuchungshaft seit jeher rigoros durch).

In ausländerrechtlicher Hinsicht  ist für die Frage, ob einreisende Ausländer festgenommen werden können, maßgeblich auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben, also das Grundgesetz abzustellen. Hiernach kann eine Freiheitsentziehung über den Tag nach der Festnahme hinaus nur duch einen Richter angeordnet werden. Eine Freiheitsbeschränkung dagegen kann grundsätzlich per Gesetz angeordnet werden. Nur wenn also eine Festnahme von einreisenden Ausländern als Freiheitsbeschränkung und nicht -entziehung (noch) definiert werden kann, wäre sie per Gesetz denkbar. 

Das Flughafenverfahren, das innerhalb von drei Tagen des Festhaltens des Ausländers am Flughafen abgeschlossen sein muss, danach der Ausländer freizulassen ist, wurde vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 1996 nicht als Freiheitsentziehung, sondern, und damit eben zulässig, nur als Freiheitsbeschränkung angesehen. Freilich ist das Bundesverfassungsgericht nic ht allein zuständig für die Einhaltung der Menschenrechte. Nur kurze Zeit nach der Karlsruher Flughafentscheidung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg das zwangsweise Festhalten von Asylbewerbern am Flughafen Paris-Orliy für 20 Tage unter dauernder polizeilicher Überwachung und ohne Zugang zu rechtlichen  Beistand und sozialer Hilfe als unzulässige Freiheitsentziehung qualifiziert.

Kein Zweifel: Flüchtlinge sind keine Straftäter. Erst letztes Jahr hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Unterbringung von Abschiebehäftlingen getrennt vom allgemeinen Strafvollzug geschehen muss. Während Niedersachsen seit langer Zeit am Flughafen Hannover-Langenhagen ein zentrales Abschiebehaftgefängnis hat, hatten süddeutsche Länder, wo das nIcht bis dahin der Fall war, erhebliche Probleme damit.

Das Bundesverfassungsgericht hat gerade zu Fällen der Abschiebehaft in den letzten Jahren den Begriff der Freiheitsentziehung wesentlich weiter gefasst zugunsten von Inhaftieren. Die Flughafenentscheidung von 1996, die damals schon sehr umstritten war, wäre heute kaum noch denkbar. Schließlich kommt hinzu, dass die Europäische Union in den letzten Jahren zwei Richtlinien zur Rückführung von Ausländern gefasst hat, die ihnen wesentlich mehr Rechte bei Festnahmen bzw. Verhinderung davon zubilligen.

In aufenthaltsrechtlicher Hinsicht wäre ein Festhalten nach einer unerlaubter Hinsicht per zu erlassenem Gesetz damit zwar grundsätzlich denkbar. Die Festhaltezeit müsste denkbar knapp aber sein. Das ist aber organisatorisch bei den hohen Flüchtlingszahlen und der Unterbesetzung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht zu bewerkstelligen. Dass die Union ihren ursprünglichen Plan von „Transitzonen“ mit einem Festhalten direkt an der Grenze aufgehoben hat, hat also (auch) rechtliche Gründe.

Die vor zwei Wochen von der Koalition beschlossenen Registrierungszentren und Landkreise mit verschärfter Residenzpflicht sind dagegen als Freiheitsbeschränkung, ein zu erlassenes Gesetz hierzu also als verfassungskonform anzusehen.